Achse des Süßen
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Food Plaza, junge Dame
„Da gibt’s so nen neuen orientalischen Supermarkt. Das wär was für onoff.“ Mit den Worten hatte mir ein Freund den Laden empfohlen. Neugierig besteige ich heute mein Bike, immer die Geleitsstraße entlang, biege schließlich nach rechts in die Ludwigstraße ein. Nach wenigen Metern ist mir klar, dass ich mein Ziel gefunden habe, denn die Beschreibungen von Marcel decken sich mit der vor mir liegenden Szenerie: ein mehr oder minder besetzter Parkplatz, an dessen Ende ein weißes Haus mit Stahldach und Holzbalken stand – direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite das Seniorenheim „Domizil“.
Vor den Türen des weißen Gebäudes steht ein Herr, raucht eine Zigarette und beäugt mich. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, er trägt eine getönte Brille. Neben ihm lehnt ein Schild an der Wand, Food Plaza lautet der Schriftzug in rot. Von meinem zumindest orientierungsmäßig geglückten Start äußerst positiv gestimmt, starte ich die Suche nach einer Möglichkeit, mein Fahrrad anzuschließen. Und befinde mich schneller als geahnt in einer- für mich typischen, völlig verplanten – Situation in der ich gleichzeitig versuche, mein Schloss und Fahrradschlüssel aus meinem Rucksack zu zaubern, dabei meine Earplugs zu entfernen und meinen iPod auszuschalten (ohne Erfolg). Das geht nicht gut merke ich, das Rad hält meinem überforderten Gezappel nicht stand, droht umzufallen aber noch bevor ein entnervter Fluch meine Lippen verlässt, kommt aus dem Nichts eine helfende Hand. Der Herr, der kurz zuvor noch seine Zigarette ausgeraucht hatte, steht parat und sein Gesicht kann ich nun sehen. Er sieht freundlich aus, lächelt und hält mein drahtiges Gefährt. „Bald kommt ein Fahrradständer, junge Dame. Ist schon bestellt.“, sagt er schnell und als wolle er sich für meine Schwierigkeiten rechtfertigen. Ich bedanke mich für seine nette Hilfe und spontan frage ich, ob er der Inhaber ist. „Genau. Das ist mein Laden. Und Fahrradständer kommen bald“, betont er nochmals. Ich erkläre ihm, dass ich von onoff komme, dass wir Artikel schreiben über Offenbach und nun auch gerne über seinen orientalischen Markt berichten wollen. Sein Lächeln wird breiter, er nickt und fragt interessiert, wie viel das Ganze kosten würde. Die Frage bringt mich zum Lachen. Genauso zuvorkommend lädt er mich in seinen Laden ein, noch beim Türaufhalten bietet er mir Tee und Kaffee an.
Von Innen sieht es auf den ersten Blick aus, wie in einem typischen Supermarkt. Rechts eine Kühltheke mit Gemüse und Obst, links eine Kasse mit Rollband, vor mir Reihen mit Nahrungsmitteln, Putzzeug und sonstigem Kram. Im Vorbeigehen beschaue ich die Produkte – die arabischen Schriftzeichen auf den Konservendosen lassen nicht einen Hinweis auf den Inhalt übrig. Der Herr geleitet mich an das hintere Ende des Raumes direkt zu einem von zwei Stehtischen. Zuallererst füllt er das kleine Schälchen auf dem Tisch mit Zuckermandeln auf, danach verschwindet er kurz in der offenen Küche gleich neben den Tischen. Härte und Süße der Nüsse bewegen sich in Extremen, Kopf an Kopf. Aber keine Frage, ich mags. Solange er den Tee zubereitet, lasse ich meine Blicke wieder zwischen den Zeilen umherstreifen: Säckeweise Orientreis, direkt nebendran am Zeilenende steht Ja! Toilettenpapier, der nächste Gang ist für Hygieneartikel wie Zahnpasta, Rasierklingen und ganz hinten sehe ich in einem weiteren Kühlfach zwei Paletten Eier stehen – der Orientexpress in direkter Verbindung zur DM Drogerie mit Halt beim Rewe. Der Herr kommt wieder mit Tee und begleitet von einer Dame, die sich wohl im Nebenraum der Küche aufhielt. Er stellt sie als seine Frau vor, Shookria heißt sie. Er selbst trägt den Namen Obaid und kommt aus Kabul. Schon vor über 40 Jahren ist Obaid nach Deutschland gekommen und während wir darüber sprechen, fällt mir auf, wie gut er deutsch spricht. Gestartet hat er allerdings in Dortmund als Reifenmonteur, lebte in Ulm, wo er eine Pizzeria betrieb und ist aus familiären Gründen mit seiner Frau und Tochter 2006 schließlich nach Offenbach gezogen. Wie es zu diesem Laden gekommen ist, möchte ich wissen. „Junge Dame,“ und er hält kurz inne, sodass ich mir die vier akkuraten Falten auf seiner Stirn betrachten kann. „alles, was Sie hier sehen, von der Tür dahinten, bis zur Küche“- und seine Handbewegungen gehen dabei mit-„ von A bis Z, das haben alles wir zwei gemacht.“ Seine Frau beginnt zu kichern, „Gib mir Hammer, gib mir Nagel – ich habe ihm nur Werkzeug gegeben und geputzt! Aber alles genau, keinen Staub habe ich zurückgelassen“, stolz auf ihre penible Sauberkeit, die das Bild des Ladens nun durch und durch prägt: Von den Fliesen, bis hin zur gründlich verputzten Wand und den Holzregalen sieht alles ordentlich aus – handgemacht, ohne dabei unprofessionell zu wirken. Ein ganzes Jahr lang haben sie gebaut, Hilfe nur von Verwandten erhalten, Profis nur bei unumgänglichen Bedarf geordert. Er führt mich ein wenig rum, in das kleine Büro neben der Küche, wo ein Bürotisch von einem Perserteppich geschmückt wird. Es macht Spaß an dieser kleinen Tour quer durch das Abendland teilzunehmen. Sogar in die Kundentoilette werfen wir einen gemeinsamen Blick, denn an einen Wickeltisch hat Obaid auch gedacht.
Er ist stolz auf das, was er geschaffen hat, zeigt mir auf seinem Smartphone wie verlottert das Gebäude noch beim Kauf war – in einer ganzen Fotoserie hat er die Entstehung von Food Plaza dokumentiert. Als Hintergrundfoto hat er seine Tochter eingestellt. Sie ist gerade im Abi Stress und will am liebsten Biochemie studieren, erfahre ich später noch.
Warum Offenbach – warum diese Straße – frage ich die beiden und Shookria ergreift das Wort. „Wir fühlen uns wohl hier. Es ist international und die Menschen sind offen. Wir zumindest machen immer gute Erfahrungen.“ Als Outsider ob ihrer ausländischen Herkunft fühlen sie sich überhaupt nicht, vielmehr nimmt Obaid als Vorstandsmitglied der SPD Bieber eine aktive Rolle im Leben der städtischen Gemeinschaft ein. Von seinen Parteigenossen habe er allerdings noch niemandem in seinem Laden gesehen, sagt er lachend und ohne, dass er es böse meint. Aber solange hat Food Plaza auch noch gar nicht geöffnet – am 27.Februar war der erste Tag, das kommt von Shookria wie aus der Pistole geschossen. Hauptkundenstamm seitdem: Senioren von gegenüber. „Die älteren Menschen kommen fast jeden Tag zum Kaffee, Mittagessen oder zum Reden – ein bisschen Abwechslung eben. Auch für den täglichen Haushaltsbedarf hätte Food Plaza „für alle was“. Egal ob die Rasierklinge oder Tempos für den Nießer zwischendurch. Genau diese Reichhaltigkeit an Waren führt dann auch schnell dazu, dass die Einkaufstüten der älteren Herrschaften fast zum Bersten gefüllt sind. „Die Sachen sind oft viel zu schwer und nicht gut zu tragen für ältere Menschen.“ Auch Shookria nutzt hierfür Körpersprache, um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen. „Wir tragen sie für sie rüber. Meistens bis vor die Tür.“ Was als reine Höflichkeit begann, ist für die betagten Domiziler mittlerweile zum USP von Food Plaza geworden. Wo sonst, bekommt man heute noch so einen Service. Für Obaid und Shookria ist das nach wie vor selbstverständlich. „Wir freuen uns, dass wir helfen können.“ Mittlerweile gehen die Senioren mit ihren Besuchern statt in die Kantine des Heims, lieber auf nen schwarzen Tee zu Obaid. Schließlich gibt’s auch immer Leckereien aus der Küche, „ein guter Mix aus belegten Semmeln und türkischen Spezialitäten wie Schafskäse oder Eingelegtes.“ Manchmal gibt’s auch afghanische Gerichte, Mantu zum Beispiel, das sind gedämpfte Fleischtaschen. Ein eintretender Kunde unterbricht unser Schwätzchen, er hat eine Frage. Obaid entschuldigt sich höflich bei mir und eilt zum jungen Mann.
Ich nutze derweil die Chance Shookria zu fragen, was sich in einigen der für mich nur schwer identifizierbaren Konservendosen befindet. Eine weitere Tour für mich beginnt – die Schlemmertour. Stolz berichtet die Frau, dass sie über zehn verschiedene Sorten abendländischen Reis verfügen – alle sollen ihren Geschmack wiederfinden, meint sie. Wir streifen an Gewürzmischungen vorbei, an getrockneten Kräutern – ganze Minzblätter abgepackt. Außerdem kommen wir in die Knabberabteilung – ich spähe schon nach Nüsschen, aber viel mehr sind es die getrockneten Kichererbsen, gesalzen oder Natur, die hier als Spezialität lagern. „Zusammen mit Rosinen ist das lecker. Unser Studentenfutter“, erzählt mir Shookria und holt gleich ein paar Kostproben für mich. Ich mag den nussigen Geschmack, wie Falafel nur in anderer Form. Vieles, was hier im Regal steht, bereitet Shookria auch selbst zu, erfahre ich. Zum Beispiel die großen Dosen mit eingelegtem Gemüse. Vorbei an Pasten und sowas ähnlichem wie Ajvar, wechselt plötzlich das Angebot. Eben noch die Palmen auf den Dattelpackungen bestaunend, springen wir als nächstes in die deutsche Süßwarenabteilung, wo Milka und Co. mit idyllischen Alpenlandschaften prahlen. Handelsmarken sind genauso dabei wie typisch deutsche. Ein volles Angebot, dass sich erst lichtet, als wir Richtung Fleischwarentheke kommen. Leere in der Kühltheke.
Nein, kein Lebensmittelskandal, keine dreiäugigen Fische. Es fehlt schlicht am Fleischwolf. „Dafür reicht das Geld nicht. Aber bald haben wir dann frische Wurst hier und Fleisch.“ Wir kommen vorne an der Kasse an und wie in jedem Supermarkt ist hier nochmal was Süßes für die Kleinen. Und mit einem Schmunzeln fällt mir der große Korb Rosinen auf, der gleich neben einem Ständer voller Haribo Goldbären posiert. Auch hier darf ich wieder probieren, die Rosinen sind lecker – aber richtig gut ist der Geschmack erst, wenn man ihn landestypisch genießt: zusammen mit selbst gemachtem Käse aus Kuhmilch, abgeschmeckt mit Joghurt, berät mich Shookria und reicht mir gleich eine Kostprobe ihrer Eigenkreation. Während wir uns schon langsam verabschieden, kommt grad eine Frau mit Dreads und ihrem Freund in den Laden, der ein Kind auf dem Rücken trägt. Noch bevor ich mich bedanken kann, schüttelt Obaid meine Hand. „Vielen Dank junge Dame. Bleiben Sie gesund“ sagt Obaid herzlich zu mir und auch Shookria gibt mir die Hand und lächelt. Das junge Pärchen ist mittlerweile an der Linsenabteilung angekommen, im Jutesack schon Kräutertüten und Pastinaken sehe ich. Auch ich greife noch zu und decke mich mit Fladenbrot, Kichererbsen und Datteln ein. Ein schöner Einkauf, woanders und doch nur um die Ecke. Anfang der Woche komme ich wieder vorbei – Montag ist Mantu-Meal-Day.
PS: Obaid würde gerne eine Internetseite für Food Plaza angehen und freut sich über jemanden, der ihm dabei helfen kann. Bei Interesse am Besten einfach mal in der Ludwigstraße 59 vorbei gehen!
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