Mt. Leonhard
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Der Lilitempel
„Goethe´s Lili. Und ein Küsschen am Main..“, antwortete meine Oma als ich sie danach fragte, was sie mit DEM Badetempel Offenbachs verbinde. Überraschenderweise amüsierte sie das Thema und sie verstellte ihre Stimme auf geschwollen, als sie mir weiter von romantischen „Stelldicheins“ zwischen dem berühmten Dichter und der Kaufmannstochter Lili Schönemann erzählte. Einst das Eigentum der wohlhabenden Frankfurter Bankiersfamilie Metzler, diente es dem jungen Liebespaar angeblich als Rückzugsort. Meine Oma kramte noch Erinnerungen anderen Kalibers aus: Ihre Mutter sei damals noch vom runden Balkon aus in den Main gesprungen, als der Fluss noch nicht begradigt und das Bauwerk noch direkt am Wasser lag. „Ich war schon lang nicht mehr da“, fügte sie zum Schluss noch hinzu.
Im Vergleich zu meiner Oma kommen in mir auch andere Erinnerungen hoch, wenn ich an den Lilitempel denke und die haben unweigerlich etwas mit Uringeruch zu tun. Mit düsteren, beschmierten Steinen und Einkaufswagen, die im kleinen Tümpel vor dem kreisrunden Gebäude scheinbar eine letzte Ruhestätte gefunden haben. Der Lilitempel nicht als sagenumwobener Ort oder Badeparadies, sondern eher als verwahrloste Grotte mit dunklen Tunneln. Ein paar Kindheitserinnerungen gruseln mich sogar: Die Entdeckung des Obdachlosen-Lagers als ich mit einer Freundin an den rauhen Steinen entlang hochgeklettert war oder das Schauermärchen von Löwen, die hinter den Gittern gehalten wurden. Ich erinnere mich weiter und sehe noch die Holzbretter vor mir, die den Eingang in den Tempelbereich blockierten, um Junkies aus den dunklen Gängen fern- und Kinder vom Absolvieren gefährlicher Mutproben abzuhalten. Ich sehe die mit Einsturzgefahr drohenden Warnschilder an den Eck-Pavillions und Drahtzäune, die irgendwann das gesamte Areal isolierten und so zum Outsider unter den Offenbacher Sehenswürdigkeiten machten. Das Denkmal lag brach, „Es fehlt der Stadt an Geld“, hatte man mir immer gesagt.
Aber auch diese Erinnerungen sind Schnee von gestern, in Anbetracht der Verwandlung, die das Antlitz des Lilitempels schon vor einem Jahrzehnt durchmachte. Das marode Bauwerk aus meiner Kindheit wurde an den Inhaber eines Designmöbel-hauses verkauft und in Kooperation mit der Stadt von Grund auf saniert. Teile wurden abgerissen, andere ergänzt und weiß eingefasst, noble Glasfassaden installiert und der Tümpel wurde zum Teich. Diese Metamorphose war allerdings nur von Weitem zu bestaunen, denn mit der Renovierung wurde auch ein schwerer Stahlzaun aufgestellt, der das Gebiet von nun an weitläufig absteckte. Das große Tor, aus- gestattet mit Klingel und integrierter Kamera, sollte potentielle Lustwandler fernhalten. 2007, drei Jahre nach Umbaustart, bezog der Designer Volker Hohmann sein Stück Kultur. Die durchsichtigen Scheiben zur Mainstraße hin ließen Passanten genug Einblicke, um sich den modern gehaltenen Luxus ausmalen zu können. In dieser Zeit stellte Hohmann den mit seidener Tapete eingefassten Pavillon (ein vom Wohnbereich abgeteiltes Räumchen) für Lesungen oder andere kulturelle Abende der Stadt zur Verfügung. „Sah schon cool aus da drin“, erzählt ein Bekannter von Hohmann über den neuen Palast am Main.
Allerdings blieb der Tempel nicht lange Eigenheim. Durch den Umzug seiner Agentur nach Gelnhausen, entschied sich auch Hohmann letztlich dafür, die Zelte am Fluss abzubrechen. Er blieb allerdings Inhaber des Lilitempels und wurde darüber hinaus auch der der gleichnamigen Event GmbH, welche das schicke Bauwerk seit neuestem für Veranstaltungen aller Art vermietet. Die brandneue Internetseite zählt unter anderem Geburtstage oder Business Events auf, schlichtweg alles, was potentielle „Momente am Main“ sein können. Tatsächlich findet das Areal aber vor allem als Hochzeitslocation hohen Anklang – für dieses Jahr sind nahezu alle Wochenenden von Brautpaaren belegt, die mit poesieträchtigem Backround den Bund fürs Leben besiegeln wollen. (Weniger romantisch erscheint die Tatsache, dass die Verlobung von Goethe und Lili Schönemann bereits nach einem halben Jahr wieder gelöst wurde – daran scheint man sich im nostalgischen Liebestaumel allerdings nicht sonderlich zu stören.) Und so sehen sich Pärchen wohl schon den langen Kiesweg hin zum Tempel schreiten, unter der großen Kuppel hindurch in den weiten hohen Saal eintreten und bei einem Glas Champagner auf der Terrasse anstoßen. Arm in Arm wie einst der Dichter und seine „einzig wahre Liebe“.
Ob es letztlich begrüßenswert ist, dass ein einzigartiges Stück Offenbacher Kultur in dieser Weise kommerzialisiert wird, sei dahin gestellt. Genauso wie Frage, ob sich Goethe und Lili tatsächlich im Schutze des Badetempels der Liebe hingaben. Oder ob wirklich Löwen im Untergeschoß gehalten wurden. Eines steht allerdings fest: Die Palette der Erinnerungen rund um den Mythos Lilitempel wird um neue Farben erweitert.
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