Food Plaza, junge Dame

„Da gibt’s so nen neuen orientalischen Supermarkt. Das wär was für onoff.“ Mit den Worten hatte mir ein Freund den Laden empfohlen. Neugierig besteige ich heute mein Bike, immer die Geleitsstraße entlang, biege schließlich nach rechts in die Ludwigstraße ein. Nach wenigen Metern ist mir klar, dass ich mein Ziel gefunden habe, denn die Beschreibungen von Marcel decken sich mit der vor mir liegenden Szenerie: ein mehr oder minder besetzter Parkplatz, an dessen Ende ein weißes Haus mit Stahldach und Holzbalken stand – direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite das Seniorenheim „Domizil“.

IMG_5786 (Kopie)Vor den Türen des weißen Gebäudes steht ein Herr, raucht eine Zigarette und beäugt mich. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, er trägt eine getönte Brille. Neben ihm lehnt ein Schild an der Wand, Food Plaza lautet der Schriftzug in rot. Von meinem zumindest orientierungsmäßig geglückten Start äußerst positiv gestimmt, starte ich die Suche nach einer Möglichkeit, mein Fahrrad anzuschließen. Und befinde mich schneller als geahnt in einer- für mich typischen, völlig verplanten – Situation in der ich gleichzeitig versuche, mein Schloss und Fahrradschlüssel aus meinem Rucksack zu zaubern, dabei meine Earplugs zu entfernen und meinen iPod auszuschalten (ohne Erfolg). Das geht nicht gut merke ich, das Rad hält meinem überforderten Gezappel nicht stand, droht umzufallen aber noch bevor ein entnervter Fluch meine Lippen verlässt, kommt aus dem Nichts eine helfende Hand. Der Herr, der kurz zuvor noch seine Zigarette ausgeraucht hatte, steht parat und sein Gesicht kann ich nun sehen. Er sieht freundlich aus, lächelt und hält mein drahtiges Gefährt. „Bald kommt ein Fahrradständer, junge Dame. Ist schon bestellt.“, sagt er schnell und als wolle er sich für meine Schwierigkeiten rechtfertigen. Ich bedanke mich für seine nette Hilfe und spontan frage ich, ob er der Inhaber ist. „Genau. Das ist mein Laden. Und Fahrradständer kommen bald“, betont er nochmals. Ich erkläre ihm, dass ich von onoff komme, dass wir Artikel schreiben über Offenbach und nun auch gerne über seinen orientalischen Markt berichten wollen. Sein Lächeln wird breiter, er nickt und fragt interessiert, wie viel das Ganze kosten würde. Die Frage bringt mich zum Lachen. Genauso zuvorkommend lädt er mich in seinen Laden ein, noch beim Türaufhalten bietet er mir Tee und Kaffee an.

Von Innen sieht es auf den ersten Blick aus, wie in einem typischen Supermarkt. Rechts eine Kühltheke mit Gemüse und Obst, links eine Kasse mit Rollband, vor mir Reihen mit Nahrungsmitteln, Putzzeug und sonstigem Kram. Im Vorbeigehen beschaue ich die Produkte – die arabischen Schriftzeichen auf den Konservendosen lassen nicht einen Hinweis auf den Inhalt übrig. Der Herr geleitet mich an das hintere Ende des Raumes direkt zu einem von zwei Stehtischen. Zuallererst füllt er das kleine Schälchen auf dem Tisch mit Zuckermandeln auf, danach verschwindet er kurz in der offenen Küche gleich neben den Tischen. Härte und Süße der Nüsse bewegen sich in ExtreIMG_5751 (Kopie)men, Kopf an Kopf. Aber keine Frage, ich mags. Solange er den Tee zubereitet, lasse ich meine Blicke wieder zwischen den Zeilen umherstreifen: Säckeweise Orientreis, direkt nebendran am Zeilenende steht Ja! Toilettenpapier, der nächste Gang ist für Hygieneartikel wie Zahnpasta, Rasierklingen und ganz hinten sehe ich in einem weiteren Kühlfach zwei Paletten Eier stehen – der Orientexpress in direkter Verbindung zur DM Drogerie mit Halt beim Rewe. Der Herr kommt wieder mit Tee und begleitet von einer Dame, die sich wohl im Nebenraum der Küche aufhielt. Er stellt sie als seine Frau vor, Shookria heißt sie. Er selbst trägt den Namen Obaid und kommt aus Kabul. Schon vor über 40 Jahren ist Obaid nach Deutschland gekommen und während wir darüber sprechen, fällt mir auf, wie gut er deutsch spricht. Gestartet hat er allerdings in Dortmund als Reifenmonteur, lebte in Ulm, wo er eine Pizzeria betrieb und ist aus familiären Gründen mit seiner Frau und Tochter 2006 schließlich nach Offenbach gezogen. Wie es zu diesem Laden gekommen ist, möchte ich wissen. „Junge Dame,“ und er hält kurz inne, sodass ich mir die vier akkuraten Falten auf seiner Stirn betrachten kann. „alles, was Sie hier sehen, von der Tür dahinten, bis zur Küche“- und seine Handbewegungen gehen dabei mit-„ von A bis Z, das haben alles wir zwei gemacht.“ Seine Frau beginnt zu kichern, „Gib mir Hammer, gib mir Nagel – ich habe ihm nur Werkzeug gegeben und geputzt! Aber alles genau, keinen Staub habe ich zurückgelassen“, stolz auf ihre penible Sauberkeit, die das Bild des Ladens nun durch und durch prägt: Von den Fliesen, bis hin zur gründlich verputzten Wand und den Holzregalen sieht alles ordentlich aus – handgemacht, ohne dabei unprofessionell zu wirken. Ein ganzes Jahr lang haben sie gebaut, Hilfe nur von Verwandten erhalten, Profis nur bei unumgänglichen Bedarf geordert. Er führt mich ein wenig rum, in das kleine Büro neben der Küche, wo ein Bürotisch von einem Perserteppich geschmückt wird. Es macht Spaß an dieser kleinen Tour quer durch das Abendland teilzunehmen. Sogar in die Kundentoilette werfen wir einen gemeinsamen Blick, denn an einen Wickeltisch hat Obaid auch gedacht.

IMG_5797 (Kopie) Er ist stolz auf das, was er geschaffen hat, zeigt mir auf seinem Smartphone wie verlottert das Gebäude noch beim Kauf war – in einer ganzen Fotoserie hat er die Entstehung von Food Plaza dokumentiert. Als Hintergrundfoto hat er seine Tochter eingestellt. Sie ist gerade im Abi Stress und will am liebsten Biochemie studieren, erfahre ich später noch.
Warum Offenbach – warum diese Straße – frage ich die beiden und Shookria ergreift das Wort. „Wir fühlen uns wohl hier. Es ist international und die Menschen sind offen. Wir zumindest machen immer gute Erfahrungen.“ Als Outsider ob ihrer ausländischen Herkunft fühlen sie sich überhaupt nicht, vielmehr nimmt Obaid als Vorstandsmitglied der SPD Bieber eine aktive Rolle im Leben der städtischen Gemeinschaft ein. Von seinen Parteigenossen habe er allerdings noch niemandem in seinem Laden gesehen, sagt er lachend und ohne, dass er es böse meint. Aber solange hat Food Plaza auch noch gar nicht geöffnet – am 27.Februar war der erste Tag, das kommt von Shookria wie aus der Pistole geschossen. Hauptkundenstamm seitdem: Senioren von gegenüber. „Die älteren Menschen kommen fast jeden Tag zum Kaffee, Mittagessen oder zum Reden – ein bisschen Abwechslung eben. Auch für den täglichen Haushaltsbedarf hätte Food Plaza „für alle was“. Egal ob die Rasierklinge oder Tempos für den Nießer zwischendurch. Genau diese Reichhaltigkeit an Waren führt dann auch schnell dazu, dass die Einkaufstüten der älteren Herrschaften fast zum Bersten gefüllt sind. „Die Sachen sind oft viel zu schwer und nicht gut zu tragen für ältere Menschen.“ Auch Shookria nutzt hierfür Körpersprache, um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen. „Wir tragen sie für sie rüber. Meistens bis vor die Tür.“ Was als reine Höflichkeit begann, ist für die betagten Domiziler mittlerweile zum USP von Food Plaza geworden. Wo sonst, bekommt man heute noch so einen Service. Für Obaid und Shookria ist das nach wie vor selbstverständlich. „Wir freuen uns, dass wir helfen können.“ Mittlerweile gehen die Senioren mit ihren Besuchern statt in die Kantine des Heims, lieber auf nen schwarzen Tee zu Obaid. Schließlich gibt’s auch immer Leckereien aus der Küche, „ein guter Mix aus belegten Semmeln und türkischen Spezialitäten wie Schafskäse oder Eingelegtes.“ Manchmal gibt’s auch afghanische Gerichte, Mantu zum Beispiel, das sind gedämpfte Fleischtaschen. Ein eintretender Kunde unterbricht unser Schwätzchen, er hat eine Frage. Obaid entschuldigt sich höflich bei mir und eilt zum jungen Mann.

Ich nutze derweil die Chance Shookria zu fragen, was sich in einigen der für mich nur schwer identifizierbaren Konservendosen befindet. Eine weitere Tour für mich beginnt – die Schlemmertour. Stolz berichtet die Frau, dass sie über zehn verschiedene Sorten abendländischen Reis verfügen – alle sollen ihren Geschmack wiederfinden, meint sie. Wir streifen an Gewürzmischungen vorbei, an getrockneten Kräutern – ganze Minzblätter abgepackt. Außerdem kommen wir in die Knabberabteilung – ich spähe schon nach Nüsschen, aber viel mehr sind es die getrockneten Kichererbsen, gesalzen oder Natur, die hier als Spezialität lagern. „Zusammen mit Rosinen ist das lecker. Unser Studentenfutter“, erzählt mir Shookria und holt gleich ein paar Kostproben für mich. Ich mag den nussigen Geschmack, wie Falafel nur in anderer Form. Vieles, was hier im Regal steht, bereitet Shookria auch selbst zu, erfahre ich. Zum Beispiel die großen Dosen mit eingelegtem Gemüse. Vorbei an Pasten und sowas ähnlichem wie Ajvar, wechselt plötzlich das Angebot. Eben noch die Palmen auf den Dattelpackungen bestaunend, springen wir als nächstes in die deutsche Süßwarenabteilung, wo Milka und Co. mit idyllischen Alpenlandschaften prahlen. Handelsmarken sind genauso dabei wie typisch deutsche. Ein volles Angebot, dass sich erst lichtet, als wir Richtung Fleischwarentheke kommen. Leere in der Kühltheke.

rosiNein, kein Lebensmittelskandal, keine dreiäugigen Fische. Es fehlt schlicht am Fleischwolf. „Dafür reicht das Geld nicht. Aber bald haben wir dann frische Wurst hier und Fleisch.“ Wir kommen vorne an der Kasse an und wie in jedem Supermarkt ist hier nochmal was Süßes für die Kleinen. Und mit einem Schmunzeln fällt mir der große Korb Rosinen auf, der gleich neben einem Ständer voller Haribo Goldbären posiert. Auch hier darf ich wieder probieren, die Rosinen sind lecker – aber richtig gut ist der Geschmack erst, wenn man ihn landestypisch genießt: zusammen mit selbst gemachtem Käse aus Kuhmilch, abgeschmeckt mit Joghurt, berät mich Shookria und reicht mir gleich eine Kostprobe ihrer Eigenkreation. Während wir uns schon langsam verabschieden, kommt grad eine Frau mit Dreads und ihrem Freund in den Laden, der ein Kind auf dem Rücken trägt. Noch bevor ich mich bedanken kann, schüttelt Obaid meine Hand. „Vielen Dank junge Dame. Bleiben Sie gesund“ sagt Obaid herzlich zu mir und auch Shookria gibt mir die Hand und lächelt. Das junge Pärchen ist mittlerweile an der Linsenabteilung angekommen, im Jutesack schon Kräutertüten und Pastinaken sehe ich. Auch ich greife noch zu und decke mich mit Fladenbrot, Kichererbsen und Datteln ein. Ein schöner Einkauf, woanders und doch nur um die Ecke. Anfang der Woche komme ich wieder vorbei – Montag ist Mantu-Meal-Day.IMG_5810 (Kopie)

PS: Obaid würde gerne eine Internetseite für Food Plaza angehen und freut sich über jemanden, der ihm dabei helfen kann. Bei Interesse am Besten einfach mal in der Ludwigstraße 59 vorbei gehen!

Der Gitarrenbauer

„Die Hochzeit ist immer das Schönste. Wenn die verschiedenen Teile zusammenkommen und man sie zum ersten Mal ganz sieht.“ So schildert uns Jakob den Lieblingsmoment seiner Arbeit. Und die Hochzeit hat es in sich, denn sie erstreckt sich über 3 volle Tage und Nächte. Aber dazu später mehr.

Denn der junge Mann, der uns an diesem verregneten Samstagnachmittag in seine Werkstatt eingeladen hat, um mit uns über sein Schaffen zu reden, ist keineswegs einer von diesen neuzeitlichen Weddingplaner – obwohl so Einer bestimmt auch eine gute Story abgegeben hätte.
Nein, Jakob baut Gitarren! Er ist einer von diesen Menschen, die man kennenlernt und bewundert. Ganz einfach deswegen, weil er einen Beruf hat, der ihm Spaß macht und den er mit Leidenschaft ausübt. Das wird uns ganz schnell klar, während wir ihn mit unseren 1001 Fragen löchern.
Aber Eins nach dem Anderen. Denn schon der Prozess seiner Ausbildung und der Werdegang in den ersten Jahren geben eine gute Geschichte ab.
Nach seinem Schulabschluss studiert der Offenbacher zunächst Architektur in Darmstadt. Zu dieser zeit fängt er auch an Gitarre zu spielen. Eine Leidenschaft fürs Handwerkliche besitzt Jakob schon immer. Da ihm ein zukünftiges Dasein als Architekt nicht wirklich erfüllend erscheint, hält er Ausschau nach Alternativen. Er stößt auf das Handwerk des Gitarrenbauers und fängt an, sich dafür zu interessieren, zweifelt aber zunächst an dieser zugegebenermaßen außergewöhnlichen Idee. Er bewirbt sich aber schließlich doch an der Berufsfachschule für Zupfinstrumentenmacher Mittenwald, an der jährlich nur vier Schüler die Ausbildung zum Gitarrenbauer aufnehmen können. Er hat Glück. Nach einer mühsamen aber erfolgreichen Aufnahmeprüfung ist klar, seine verrückte Idee wird Wirklichkeit.
Das hat er nun davon: Mittenwald! Der Name allein klingt vielversprechend. Mit knapp siebeneinhalb tausend Einwohnern liegt es idyllisch im tiefsten Bayern, nur wenige Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt auf gut 900 Metern Höhe….mitten im Wald. Für viele Menschen diesen Alters, jedenfalls für die meisten, die wir kennen, ist ein Leben dort vermutlich nur schwer vorstellbar. Jakob erklärt uns aber, welche Vorzüge Mittenwald dann doch haben kann. Die schöne Landschaft, die Abgeschiedenheit – vor allem im Winter, begraben unter bis zu zwei Metern Schnee – und die Ruhe gepaart mit den kleinen Lerngruppen in der Gitarrenschule, ermöglichten es ihm, sich voll und ganz aufs Wesentliche zu konzentrieren. Noch während seiner Ausbildung richtet er sich in seinem kleinen 1-Zimmer Appartment eine eigene Miniwerkstatt ein und fängt an herumzuwerkeln und die ersten Gittaren anzufertigen. „Das war schon verrückt, auf so engem Raum alles… vor allem in dem Zimmer, in dem man auch schlafen muss. Und der Holzstaub ist auch nicht gerade gesund. Andererseits fand ich es aber toll morgens schon beim Aufstehen in weichen Fichtenhobelspänen zu stehen.“  Jakob lächelt. Aber irgendwie musste es ja gehen.
Nachdem er 2008 erfolgreich seine Gesellenprüfung abgelegt hat, zieht es ihn nach Italien. Der italienische Stil und seine Formen interessieren ihn. Auch hier gesellt sich zu seiner Hingabe und Ausdauer noch etwas Glück hinzu und so lernt er einen erfahrenen Gitarrenbauer kennen. Lorenzo Frignani ist während der darauffolgenden Monate sowohl die Quelle der Inspiration bezüglich Gitarrenbau, als auch Jakobs Italienischlehrer, sodass er nach einem Jahr auch die Sprache bereits gut beherrscht.
Außerdem stellt sich raus, dass Frignani der ideale Guide in puncto italienischer Lebensart ist. „Wenn man sechs tage die Woche zu zweit neun Stunden in der Werkstatt verbringt, kann das schon sehr intensiv sein. Deswegen lernt man nicht nur die Art des Bauens voneinander kennen, sondern auch die Art des Lebens. Durch ihn habe ich die Kultur der Emilia Romana und eine nie zuvor gekannte Freude am Essen entdecken können. Die Zeit mit ihm hat Pasta und Espresso zu einem essenziellen Bestandteil meines Lebens gemacht. Meine Espressomaschine ist nun wichtiger für meine Arbeit als meine Kreissäge.“
Die Wege der Beiden trennen sich irgendwann aber da ist Jakob bereits Gitarrenbauer.

Die Werkstatt, in der wir heute sitzen, hat er erst mitte Januar bezogen. Sie befindet sich ganz überraschenderweise hinter einer der Türen der WG, in der er wohnt. Früher war das ganze ein Blutlabor und auch heute noch klopfen Leute ab und zu an die Tür und verlangen, dass man ihnen Blut abnehme. Wir stellen uns kurz vor, dass vielleicht unser eigenes Blut schonmal diese Räumlichkeiten durchwandert hat und gehen mal davon aus, dass die Werte OK waren. Jakob und sein Mitbewohner haben in der Vergangenheit auch schon Urinproben aus ihrem Briefkasten gezogen. Wir müssen laut lachen.
Naja, trotz der Blutgeschichte, wir fühlen uns direkt wohl hier. Der süße Duft von frisch geschnittenem Holz fällt uns gleich auf und die unterschiedlichen Ebenen machen die Werkstatt auch optisch interessant.
Jakob lässt uns an diversen Hölzern aus aller Welt riechen und klopfen. Außerdem geht er näher auf das spezifische Gewicht, der verschiedenen Arten ein. Er zeigt uns den Rohzustand, in dem er das Holz auswählt. Wir können nichteinmal Gitarre spielen, folgen aber gebannt seinen Worten. Im Gitarrenbau gibt es – wie überall – unterschiedliche Theorien und Stile. Eines von Jakobs Markenzeichen ist zum Beispiel an der Krone zu erkennen, sozusagen das Endstück des Gitarrenhalses. Hier arbeitet er oft filigrane Rundungen und Vertiefungen ein, die fast an eine Blüte erinnern. Dieses edle Stück macht aber nicht ganz so gerne wie den Hals selbst. Denn wenn man das Holz in Form bringt, fühlt man sich ein klein bisschen wie ein Bildhauer, erzählt er.
Wir fragen ihn, welche Musik er bei der Arbeit hört. „Das ist ganz unterschiedlich. Bei schweißtreibenden Arbeiten ist zum Beispiel Techno ganz gut.“ Eher meditativ wird es hingegen beim Lackieren, wenn reizende Dämpfe auf ihn einwirken.
Sobald es absehbar ist, dass die einzelnen Teile fertig werden, kann Jakob sich innerlich schonmal Gedanken um die Hochzeit machen. Wenn sich zum ersten Mal Boden, Decke, Zargen und Hals vereinen, kommt positive Stimmung in ihm auf. Endlich wird sichtbar, woran man in den letzten Wochen gearbeitet hat. Noch ist die Gitarre aber nicht fertig. Auf die Hochzeit folgen noch weitere, wichtige Arbeitsschritte, bis nach fast zwei Monaten endgültig der Moment der Wahrheit da ist: das Aufziehen der Saiten. Jakob kann sich noch allzu gut an diesen Moment erinnern, als er seine erste Gitarre mit Saiten bestückt hat und die erste Hörprobe machte: Die totale Enttäuschung! Und er war völlig verzweifelt. „Das Ding klingt absolut grauenhaft!“ Tief in der Nacht, rief er damals noch einen Freund an und bat ihn um Beistand. Zusammen begaben sie sich auf Fehlersuche…konnten aber nichts Konkretes finden. Ähnlich verhielt es sich auch mit den Gitarren zwei, drei, vier und fünf. Seitdem zieht Jakob die Saiten immer abends vor dem Schlafengehen auf und wartet 8-9 Stunden bis zum nächsten Morgen, bevor er das erste Mal darauf spielt. So lange dauert es nämlich mindestens, bis eine fertige Gitarre das Laufen lernt. Immerhin ziehen die Saiten mit bis zu 70 kg an den beiden Enden, da braucht es ein wenig Zeit, bis sich alle Einzelteile aufeinander abgestimmt und ausbalanciert haben. „Es scheint fast so, als wüsste Sie noch nicht wohin mit den Schwingungen.
Nachdem wir bereits eine ganze Weile gemeinsam gefachsimpelt haben, stellt Jakob endlich die Frage: „Wollt ihr vielleicht mal was hören?“ – „Na endlich, wir dachten schon du würdest nie fragen!“ Gespannt, wie die Saiten einer neuen Gitarre setzen wir uns hin und lauschen den warmen Klängen einer echten Offenbacherin. Nicht, dass wir groß Ahnung hätten, aber Töne, die sie von sich gibt, bezaubern uns für einen kurzen Moment. Oder liegt es vielleicht an Jakob? Am Holz? Oder vielleicht einfach an dieser schönen Kombination aus dem Erschaffer und seinem Werk? Was immer es ist, es wirkt.
Was uns außerdem noch auffällt, ist die für uns unerwartete Lautstärke dieses Instruments. Anschließend legt uns Jakob noch kurz seine Philosophie des Gitarrenbaus dar. Anders als bei einigen anderen Gitarrenbauern, ergibt sich der perfekte Klang für ihn daraus, dass möglichst alle Teile des Instruments an der Tonproduktion gemeinsam beteiligt sind. „Ich versuche die Einzelteile nicht entkoppelt zu sehen, sondern als ein in sich schlüssiges System, bei dem alles ineinander greift. Das ganze Instrument wird in von den Saiten in Schwingung versetzt – Boden, Zargen, Hals und viele kleine Bauteile mehr, würzen und unterstützen den Klang der Gitarrendecke“. Folglich ist es wichtig, dass – bis hin zum kleinsten – alle Teile in Balance zueinander stehen. Jakobs Gitarren sind deshalb trotz ihrer Größe mit 1200 Gramm vergleichsweise leicht. Ein weiterer Vorteil, der sich hierraus ergibt, ist das gute Feedback seiner Instrumente für den Musiker. „Ich finde es wichtig, dass man die Vibrationen am Bauch und in den Händen spürt, während man spielt. Das die Gitarre unmittelbar und direkt auf das Anspricht was man mit den händen tut – auf das, was man ausdrücken möchte“ Wir können nicht anders als ihm zuzustimmen.
Schließlich wollen wir wissen, wie denn so die Geschäfte laufen und finden heraus, dass er bereits mit Aufträgen für die kommenden zwei Jahre versorgt ist. „Das ist ein Luxus und gibt mir die Freiheit, mir echt Zeit zu lassen und meine Sache gut zu machen.“ Zu seinen Kunden zählen professionellen Musiker und Studenten, sowie reine Musikliebhaber und Sammler. Während die Einen auf ihr Instrument angewiesen sind, oft bis zu 8 Stunden daran sitzen, sich aber finanziell oftmals keine Luftsprünge erlauben können, geben die Anderen gerne etwas mehr für ihr Hobby aus, spielen selbst aber vergleichsweise selten. Was aber all diese Leute mit Jakob verbindet ist die Liebe zum Klang. So kommt es oft, dass sich freundschaftliche Verhältnisse zu seinen Kunden entwickeln. Viele schauen häufiger mal vorbei und erkundigen sich nach dem Stand der Dinge. Man tauscht sich aus, trinkt einen Tee, vielleicht spielt man auch mal gemeinsam ein, zwei Stücke.
Und in Zukunft?“ fragen wir. „Also die nächsten fünf, sechs Jahre sehe ich mich immernoch hier. So ein Umzug mit der ganzen Werkstatt ist schon ziemlich aufwändig. Da kann man nicht mal für ein Jahr woanders hin und da arbeiten. Und was das Gitarrenbauen generell angeht; das wird bestimmt nie langweilig. Es gibt immer was zu entdecken, die Szene wandelt sich und so bin ich auch ständig auf der Suche nach Wegen den Klang meiner Träume zu finden, auch wenn das Grundprinzip immer dasselbe bleibt.
Eine letzte Frage haben wir noch an ihn und wollen wissen, ob seine Gitarren denn eigentlich Namen haben. Er kann sich das Grinsen nicht verkneifen, antwortet mit einem definitiven „Ja. Aber die sind nur für mich.“ Wir verstehen schon und bohren nicht weiter nach.

Goldrausch

„Wohin gehst’n jetzt schon wieder?“, fragt mich mein Vater, als ich mir meine Jacke überziehe und die Kamera in den Rucksack stecke.“Ich mach was für onoff“, antworte ich nur knapp. Interessiert kommt von ihm zurück: „Und was?“, gespannt wo ich am frühen Samstag Abend Stoff für den Blog hernehmen will. Ich unterbreche kurz das Kramen, prüfe, ob ich alles dabei habe – Kamera – Check – Stift – Check – kleiner College Block mit dem grünen Einband – Check. Mh. „Das weiss ich noch nicht.“ – „Na dann viel Erfolg.“, ruft er noch, als ich die Tür hinter mit zuziehe. Tatsächlich habe ich heute keinen Plan, wo es für mich hingeht. Habe keinen Ausgangspunkt, nicht wie bei den Mormonen schon lange einen Termin ausgemacht, mir schwirrt keine Frage im Kopf, die ich den Offenbachern auf dem Wilhelmsplatz entgegenwerfen könnte. Ich fahre einfach los auf meinem Fahrrad. Den ganzen Tag hat schon die Sonne geschienen – jetzt begibt sie sich ganz gemächlich auf den Sinkflug. Meine Pläne, heute abend noch DIE Story an Land zu ziehen, scheinen mit jedem Tritt in die Pedale unrealistischer, denn ich trödele rum, fahre erst Richtung Bürgel, dann wieder zurück vorbei am alten Friedhof, rauch kurz eine hinten am Isenburger Schloss und strample dann langsam weiter Richtung Hafen. Ich halte kurz am Lili Tempel, wittere die Spur eines Artikels -Wer besitzt das Ding eigentlich? Wohnt da jemand? Sollte der Tempel nicht wieder verkauft werden? „Das könnt was sein“, denke ich mir und beschaue das schöne Gelände, mache ein paar Bilder vom makellosen Pavillion, freue mich, dass Licht brennt….und stehe geschlagene 4 Minuten vor dem großen Stahltor, weil mir niemand öffnet. Korb. Meine Versuche irgendwie ans Fenster zu kommen, um mir Aufmerksamkeit zu erklopfen, scheitern und beäugt von Parkgängern schiebe ich mein Rad unverrichterer Dinge wieder in Richtung Main.

Und dann sehe ich Licht. Warme Farben, Rosa, Orange, ein Hauch von Lila – in jeder Richtung. Es ist kurz vor sechs, die Sonne geht unter. Und mit einem Mal bin ich von Geschichten umgeben. Keine, die mit Schrift fixiert werden, nicht mal welche, die fotografisch auf solch vielschichtige Weise gebannt werden könnten, wie sie mich gerade umgibt. Nein, es sind Gemälde, auf die ich so plötzlich gestoßen bin: Die Hermann-Steinhäuser-Siedlung ist heute Abend ein Mosaikteppich, der Ruderverein strahlt stolz in ocker und ganz hinten sieht man Frankfurt glitzernd flimmern. Der Main ist keine traurige Brühe mehr, er ist zum Meer geworden. Mein Herz gewinnt an Schlagkraft, denn ich versuche schnell-alle-tollen Momente festzuhalten. DIE Story heute hat keine Worte zum Inhalt. Ich versuche nicht wie sonst, ein gutes Interview zu kriegen, das ich später in verschlungenen Sätze niederschreibe. Es ist die Ästhetik des Moments auf die ich gestoßen bin und für die ich mich heute ins Zeug lege. Ich rase von Ort zu Ort, sehe überall einmalige Schüsse. Aus der anfänglichen Trägheit ist Ambition geworden, die Ideenlosigkeit ist dem Wunsch gewichen, alles auszuschöpfen, was der sonnige Untergang in und mit Offenbach zu bieten hat. Ich eile noch zum Hafen – obwohl ich das neue Hochhaus, das sich neuerdings zwischen Wiese und Freiblick auftürmt, nicht leiden kann, ist es heute fantastisch. Denn es fängt den letzten Funken Licht ein und gibt mir die Chance, wieder runter zukommen, inne zu halten. Und nur für mich betrachte ich die schillernde Zugabe. Ich lächle und freue mich schon darauf, von meiner erfolgreichen Schatzsuche zu berichten.